Arbeitskreis
 von

 Katholiken

Logo

Ich bin der Weg,

die Wahrheit und

das Leben

.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             8.5.2024

Zivile Opfer im Bombenkrieg - selbst schuld an ihrem Schicksal?

 

Am historisch-politischen Umgang mit dem Bombenkrieg der Alliierten gegen Frankfurt zeigt der Autor, dass fehlerhafte historische Behauptungen sowie die Tabuisierung von Gerechtigkeitsfragen zu fatalen Folgerungen und bevormundender Erinnerungskultur führen.(Redaktion).

Gastkommentar von Hubert Hecker
Die Luftangriffe von jeweils 630 britischen Bombern auf die Innenstadt von Frankfurt am Main am 18./19. und 22./23. März 1944 hatten verheerende Folgen: Die Frankfurter Innenstadt lag in Trümmern, 175.000 Menschen hatten ihre Wohnung verloren, 1440 Zivilisten waren umgekommen. Die Briten hatten auf Flugblättern einen „Vernichtungsorkan" angekündigt. Und so kam es: Mit 500 Luftminen und 3000 Sprengbomben sowie 600.000 Brandbomben in die aufgesprengten Häuser wurde die historische Altstadt mit zahlreichen Kulturdenkmälern in einem Feuersturm vollständig vernichtet. Bei den insgesamt 33 Luftangriffen auf Frankfurt brachten die Alliierten 5559 Zivilisten um, vorwiegend ältere Männer, Frauen und Kinder.
Angesichts dieser gewaltigen Zerstörungen von Wohnungen, Schulen, Bibliotheken, Krankenhäusern sowie der Tötung von Tausenden Menschen besteht seit dem Kriegsende eine merkwürdige Zurückhaltung beim Gedenken an die Bombenkriegsopfer, die zwischen Juni 1940 und März 1945 „in Kellern erstickten, in den Feuerstürmen verbrannten oder von Trümmern erschlagen wurden, unter ihnen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter" (FAZ 18.3.2019). Kein Dokumentationsort zeichnet das Leiden und die Ängste der hundertmal in Keller Geflüchteten und Ausgebombten nach, kein Denkmal erinnert an das Sterben der tausenden Bombenopfer, kein Mahnmal spricht symbolisch ein ‚Nie wieder!' aus.
Nur einmal gab es in Frankfurt eine Diskussion über ein Bombenkriegsopferdenkmal. 1953 hatte der ehemalige Frankfurter Jude Benno Elkan, der 1934 nach London emigriert war, einen Entwurf für ein monumentales Steindenkmal vorgelegt, dass den leidenden, verzweifelten und sterbenden Bombenkriegsopfern auf und unter den Trümmern ihrer Häuser Gesicht und Erinnerung geben sollte.
Der Entwurf gefiel dem damals SPD-dominierten Magistrat sowie den öffentlichkeitsbeherrschenden Kreisen ganz und gar nicht. Es gab einmal die grundsätzliche Ablehnung des Denkmals, etwa mit dem Einwand, „die Überlebenden dürften nicht am wahnsinnigen Aufschrei, am Feuersturm, an der Verstümmelung der Toten angekettet werden wie an einem Felsblock" (FAZ 18.3.1953).
Eine andere Argumentationslinie bemängelte die fehlende Einordnung als Warnung, „die eigenen Leiden nicht zu glorifizieren, ohne an die anderen zu denken". Einer dritten Ansicht fehlte die „geistige Auflösung" des Opferdenkmals. In diesem Sinne machte die Frankfurter Rundschau den emphatischen Aufruf: Ein Antikriegsdenkmal sollte doch „Schmerz in Widerstand, Angst in Mut" verwandeln. Schließlich fasste das beauftragte Gutachten des Städel-Direktors den tieferen Grund der Frankfurter Ablehnungsfront gegen ein deutsches Bombenopferdenkmal mit den Worten zusammen: Sicherlich enthalte das Opferdenkmal die geistige Dimension der Anklage, aber eine falsche. „Die meisten werden es nur als Anklage gegen Deutschlands Gegner im Krieg empfinden, nicht als Anklage gegen sich selbst, worauf es doch ankäme bei so viel eigener Schuld."
Das Argumentationsmuster der eigenen deutschen Schuld sollte sich in der Bundesrepublik bis in die Nullerjahre mit seiner Tätervolkdoktrin als Mainstream durchsetzen und immer wieder wellenförmig befeuert werden: Die meisten Frankfurter / Deutschen hätten so viel eigene Schuld am Krieg, dass sie nicht das Recht hätten, das alliierte Unrecht der gezielten Bombardierung der deutschen Wohnbevölkerung anzuklagen. In dieser kollektiven Selbstbeschuldigung (und zugleich Exkulpierung der Alliierten) galten zivile Bombenopfer zusammen mit den Überlebenden als Mitschuldige am deutschen Angriffskrieg, mithin Täter, somit selbst schuld an ihrem Schicksal und damit keinesfalls betrauernswert oder gar denkmalswürdig.
Gegenüber der pauschalen Schuldthese und daraus folgend die zynische Ablehnung einer differenzierten Erinnerungskultur regte sich auch Widerstand. Mit Beginn der Regierungszeit von CDU-Mann Walter Wallmann als Frankfurter Oberbürgermeister kam im Römer eine nüchterne Betrachtung der Kriegsereignisse zum Zuge. Wallmann ließ eine metallene „Gedenktafel an die Opfer der Luftangriffe" in den Boden vor dem Römer platzieren. Im oberen Segment der Rundplatte sieht man die Silhouette der Stadt mit dem überragenden Dom in Flammen aufgehen. Im folgenden Text wird in „Erinnerung" gerufen: die 33 Luftangriffe auf Frankfurt, Tausende Tonnen Spreng- und Brandbomben, Auslöschung des Altstadtkerns, Zerstörung oder Beschädigung von drei Viertel aller Bauten und schließlich die Trauer um 14.701 Gefallene und 5559 Bombenopfer.
Die Gedenkplatte mit ihrer nüchternen Erinnerung an die Kriegsschäden sowie die menschlichen Bomben- und Kriegsopfer bedeutete eine erneute Zuwendung zum Konzept des Opferdenkmals, wenn auch nur in Textform. Die verschiedenen Meinungen, Folgerungen oder Bewertungen zu den Tatsachenaussagen der Gedenkplatte werden den Frankfurter Bürgern und Besuchern überlassen.
Wie zu erwarten, waren diese unkommentierten und damit nicht-gelenkten Aussagen den links-grünen Kräften ein Dorn im Auge. Nachdem die Gedenktafel mehr als zehn Jahre im Depot eingelagert war, wurde sie im Herbst 2023 erneut in der rekonstruierten Altstadt verlegt, allerdings gerahmt mit der neu-alten Richtungsinterpretation. Auf einem metallenen Ring um die alte Bild- und Texttafel ist der Satz in Eisen gegossen: „Von Deutschland ging seit September 1939 ein globaler Vernichtungskrieg aus. Alle Opfer dieses Krieges mahnen uns zu Frieden, Versöhnung und Demokratie".
Nach Meinung der Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) würden die Aussagen der alten Platte einen „wichtigen Teil der Geschichte" verschweigen. Der Interpretationsring würde nun Auslöser und Gründe für den Bombenkrieg benennen, der die Altstadt in Schutt und Asche legte. Die 5000 Bombenopfer erwähnte die Kulturdezernentin bezeichnenderweise nicht mehr.
Die Leitmedien begrüßten ziemlich einhellig die „zeitgemäße Kontextualisierung" der „einseitigen Erinnerungskultur" der 70er Jahre. „Weltkriegsgedenken - diesmal richtig" titelte die linke Frankfurter Rundschau, sichtlich zufrieden mit der staatlicherseits verordneten und richtungsgelenkten Erinnerungskultur, mit der in Zukunft ‚falsche' Folgerungen und Debatten der Bürger etwa um die Bewertung des Bombenkriegs verhindert werden sollten.
Die SPD-geführte Ampelkoalition im Frankfurter Magistrat hat jedoch schwere sachliche und historische Fehler in die „zeitgemäße" Ergänzung des Ring-Kommentar eingebaut, die eine erneute erinnerungspolitische Debatte und Korrektur erwarten lassen.
(Die im September 2023 einbetonierten Kontextaussagen erweisen sich im aktuellen Kontext als höchst problematisch. Damals stand die Ukraine schon länger als eineinhalb Jahre im Defensivkrieg gegen Putins Angriffskrieg. Aber die Frankfurter SPD scheint den Schuss der „Zeitenwende" nicht gehört zu haben, wenn sie alle Kriegsparteien unterschiedslos zum Frieden mahnt. Ist das Friedensmahnwort dann nicht auch an die Ukraine gerichtet zu verstehen, ihren Verteidigungskampf für einen Friedensschluss aufzugeben? Und wenn alle Opfer im Zweiten Weltkrieg zur „Versöhnung" der Kriegsparteien mahnen – Soll dann die Ukraine dem Aggressor und Landräuber Putin die Hand reichen zur Versöhnung und damit seinen Eroberungsfeldzug belohnen?)
Im ersten Satz des Ring-Textes wird die Behauptung aufgestellt, von Deutschland sei 1939 ein „globaler Vernichtungskrieg" ausgegangen. Diese begriffliche Kennzeichnung ist sachlich falsch. Die Militärwissenschaftler sind sich einig, dass der Krieg von Hitlerdeutschland gegen Polen und die Sowjetunion Züge eines Vernichtungskrieges enthielten, während die Kriege der Wehrmacht gegen Frankreich, Belgien, Holland, Norwegen etc. als klassische Feldzüge eingestuft werden.
Völker- und kriegsrechtlich ist der zweite Weltkrieg von deutscher Seite als „Angriffskrieg" zu charakterisieren und zu verurteilen, wie das in den Nürnberger Prozessen getan wurde. Die Lehre daraus ist aber nicht die pazifistische Parole „Nie wieder Krieg!", sondern „Nie wieder Angriffskriege!"
Weil der Ring-Text auf den kriegsethisch entscheidenden Begriff ‚Angriffskrieg' verzichtet, kann in dem Folgesatz die Berechtigung eines Verteidigungskrieges als ultima ratio nicht gewürdigt werden. Stattdessen wird einer utopisch-pazifistischen Perspektive gehuldigt.
Offenbar wollte die Frankfurter SPD mit dem Wort „globaler Vernichtungskrieg" die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg ins Unermessliche steigern, um damit einen „Auslöser" oder Grund für die Zerstörung Frankfurts und Vernichtung der Altstadt durch britische Flächenbombardierungen zu konstruieren. In der offiziellen Pressemeldung der Stadt Frankfurt vom 19.3.2024 wird der Ring-Text mit der These interpretiert, dass die britischen Luftangriffe „Folge eines von Deutschland entfesselten, globalen Vernichtungskriegs waren".
Mit dieser Tatsachenbehauptung im Ursache-Wirkung-Muster werden die britischen Luftangriffe und ihre deutschen Bombenopfer als quasi zwangsläufige Folge der Kriegsentfesselung durch Hitlerdeutschland hingestellt und gerechtfertigt. Diese These ist weder historisch-prozessual zu belegen noch kriegsethisch zutreffend.
Nach Kriegs- und Völkerrecht musste sich auch die Kriegspartei der Verteidiger – in diesem Fall die Alliierten - an die ethischen Kriegsführungsregeln halten. Nach den 1923 (!) in Den Haag festgelegten Luftkriegsregeln sind „Luftbombardements zu dem Zweck, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren, verboten". An diese Vorschrift fühlten sich die britischen Regierungen bis 1941 gebunden. Im Juni 1938 stellte der britische Premierminister Neville Chamberlain fest: „Es verstößt gegen das Völkerrecht, Zivilpersonen als solche zu bombardieren und die Zivilbevölkerung anzugreifen". Noch im Januar 1940 verurteilte Winston Churchill die Flächenbombardements der deutschen Luftwaffe auf Warschau und andere Städte Polens als abscheuliche und barbarische Form des Angriffskrieges. Die britische Regierung werde niemals diesem Beispiel folgen.
Nach der nicht offiziell gewollten Bombardierung Rotterdams durch eine deutsche Heinkel-Staffel befahl das britische Kriegskabinett am 15.5.1940 erstmals nächtliche Bombenangriffe auf das Ruhrgebiet. 99 Bomber sollten militärlogistische Ziele wie Treibstofffabriken, Stahl-gießereien und Verkehrswege der Region angreifen. Der riesige Rangierbahnhof Hamm wurde von der RAF bis Ende 1941 85 Mal bombardiert, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.
Im Laufe des Jahres 1941 reifte im britischen Bomber Command und Kriegskabinett die Entscheidung, die kriegsrechtliche Beschränkung auf militärrelevante Ziele der Feindstaates aufzugeben. Seit Februar 1942 verfolgte die britische Kriegsregierung offiziell die Strategie des „moral bombing", nach der durch nächtliche Städtebombardierungen „in erster Linie die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung" getroffen werden sollte, so die Kabinetts-Direktive. Der verantwortliche RAF-Kommandant Arthur Harris ließ sich zu der Bemerkung hinreißen: „Wir wollen Boches (franz. Schimpfwort für Deutsche) unter den Trümmern ihrer Häuser begraben, Boches umbringen und Boches terrorisieren". Seine Wortwahl wurde nur noch übertroffen vom britischen Informationsminister Brendan Bracken: „Wir beabsichtigen das Volk, das für diesen Krieg verantwortlich ist, in jeder uns möglichen Weise zu bombardieren, in Flammen aufgehen zu lassen und erbarmungslos zu vernichten." Die englische Presse bilanzierte Ende Oktober 1943 die neue britische Vernichtungsstrategie gegen deutsche Großstädte mit der peinlichen Bemerkung, wie sie sich „Hitler in seinen sadistischsten Träumen" nicht hätte vorstellen können: „Hamburg bekam das Äquivalent von mindestens 60 ‚Coventrys' zu spüren, Köln 17, Düsseldorf 12 und Essen 10". Für die Frankfurter Trümmerwüste nach den verheerenden Luftangriffen vom März 1944 lässt sich vermutlich eine ähnlich hohe Zerstörungsrate in der Stadtvernichtungseinheit ‚Coventry' feststellen. (Die 320.000 Einwohner zählende Industriestadt Coventry mit zahlreichen innerstädtischen Rüstungsbetrieben wurde am 14. 11. 1940 durch ca. 500 Luftwaffenbomber weitgehend zerstört.)
Der britische Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung der Städte war also keineswegs die zwangsläufige Folge des deutschen Kriegsbeginns oder der deutschen Kriegsführung, sondern eine bewusste Entscheidung der britischen Kriegsregierung, die aus militärstrategischen Überlegungen, aber auch im Wissen um das kriegsrechtliche Unrecht des Tuns getroffen wurde.
In England gab es von Anfang an Kritik an dem Städtebombardement der RAF von wenigen, aber prominenten zivilen und kirchlichen Personen. Aber auch Einwohner der bombardierten Städte Coventry und Hull meldeten sich zu Wort. Indem sie die gnadenlosen Luftangriffe auf ihre Städte durch deutsche Bomber verurteilten, protestierten sie gleichermaßen gegen die „barbarischen Methoden der Kriegsführung" von Seiten der britischen Bomberflotten zur Vernichtung deutscher Städte. Die Briten sollten sich nicht auf das Niveau des nationalsozialistischen Feindstaates begeben, „wobei man doch eben wegen der pervertierten Werte des Feindes überhaupt gegen ihn in den Krieg gezogen" sei. Die innerenglische Kritik an den zivilistentötenden Flächenbombardements wurde lauter und breiter, als sich im Laufe des Krieges die Erfolglosigkeit des ‚moral bombing' herausstellte. Schließlich mündeten die anschwellenden Proteste in der vielschichtigen Kritik in einem von Churchill selbst beauftragten Memorandum über das vernichtende Bombardement von Dresden keine drei Monate vor Kriegsende. Nach der verstörenden Textlektüre soll Churchill geäußert haben: „Sind wir Bestien?" Außerdem erklärte eine Untersuchungskommission, dass der Bombenkrieg keinen Beitrag zum Sieg beigetragen, sondern mit der falschen Allokation von militärischen Ressourcen sogar zur Verlängerung des Krieges geführt habe.
Diese Faktoren führten dazu, dass Churchill nach dem Krieg das hässliche Kapitel Bombenkrieg vergessen machen wollte. Er schloss Bomber Harris von der Siegesparade aus und die Männer des Bomber Command bekamen keine Ehrungen. Auch bei den Nürnberger Prozessen waren die offensichtlichen Kriegsverbrechen der Städtebombardierungen vom Aggressor Deutschland und den alliierten Verteidigern kein Thema. Der amerikanische Ankläger Telford Tayler gab als Grund dafür offen zu, dass die deutschen Luftangriffe im Vergleich zu den alliierten „verblassen" würden.
In den letzten dreißig Jahren wird in Zivilgesellschaft und Wissenschaft der anglo-amerikanischen Länder erneut heftig über die Bewertung des Bombenkriegs debattiert. Der US-Militärhistoriker Stephen Garrett kommt nach sorgfältiger Analyse zu dem Urteil: Spätestens ab 1944 seien die alliierten Flächenbombardements in ihrer Mehrzahl „ein Verbrechen und ein Fehler" gewesen. Auch der englische Philosoph A.C.Grayling, der in diesem Aufsatz mehrfach zitiert wird, kommt zu dem Urteil, „dass die Flächenoffensiven der alliierten Bomberstreitkräfte moralische Verbrechen" waren. Das gleiche Ergebnis führt der bekannte Historiker Richard Overy in einem neueren Buch aus: Insbesondere die Bombenangriffe der letzten Kriegsmonate sieht er als „nicht notwendig und moralisch nicht zu rechtfertigen" an. Bemerkenswert ist Overys Feststellung, dass die deutschen Bombardierungen von Warschau, Rotterdam, London und anderen englischen Städten keine Terrorangriffe gewesen seien, da sie sich nicht vorrangig gegen die jeweiligen Stadtbevölkerungen richteten wie bei den britischen Luftangriffen ab 1942.
Zwar gab es in Deutschland der Nuller Jahre mit den Büchern von Jörg Friedrich und Christoph Kucklick ebenfalls kritische Darstellungen zu dem alliierten Bombenkrieg gegen deutsche Städte einschließlich der Bewertung als Kriegsverbrechen. Allerdings überwog die Kritik an deren journalistischen Textformen wie etwa „der endlosen Emotionalisierung, kleinkarierter Nörgelei und dem Pathos des Alarmierten". Den Haupteinwand gegen Jörg Friedrichs Buch „Der Brand" formulierte Hans Ulrich Wehler: Er vermisse die geschichtliche Einbettung des Buches in das Gesamtgeschehen des Krieges.
Mit diesem oberflächlichen Argument war für die herrschenden Meinungsmacher in Medien und Wissenschaft das Buch und sein kritisches Resümee erledigt. Es folgten aber keine wissenschaftlichen Werke zu dem Thema wie im englischen Sprachraum (siehe oben). Pressestellen der Stadt-Magistrate (wie Frankfurt a. M.) begnügten sich fortan mit der besserwisserischen Bemerkung, Deutschland habe den Krieg angefangen; deshalb sollten sich die Deutschen nicht über ihre Kriegsopfer beklagen und erst recht nicht die Kriegsführung der Alliierten anklagen.
Es ist offensichtlich, dass die herrschenden Kreise einer gerechtigkeitsorientierten und wahrhaftigen Bewertung des Bombenkriegs aus dem Weg gehen wollen. Sie glauben wohl, mit einer maximalen Selbstbeschuldigung von Deutschland allen rechtsnationalen Tendenzen wirksam bekämpfen zu können. Tatsächlich bewirken sie das Gegenteil. Nach dem überwältigenden Publikumserfolg von Jörg Friedrichs Buch lassen sich die Leser nicht mehr mit dem zynischen Subtext abspeisen, die Tötung von etwa 500.000 deutsche Zivilisten durch die alliierten Flächenbombardierungen müssten deshalb als berechtigt hingenommen werden, weil Hitler und der NS-Zwangsstaat mit dem Krieg und den Städtebombardierungen angefangen hätten. Solche logisch und kriegsethisch falsche Folgerungen, die in bevormundender Weise der Bevölkerung aufgedrückt werden, mindern die Glaubwürdigkeit des Staates und befördern die Kritik am „Schuldkult".
Grayling weist darauf hin, dass unaufgearbeitete Kriegsverbrechen bei den Siegernationen eine Wiederholungstendenz hervorrufen. Er zeigt dieses fatale Ergebnis anhand der offiziellen Doktrin der US Air Force auf. Danach kann „die Moral der Zivilbevölkerung als solche ein legitimes Angriffsziel sein, weil die Schwächung des Kampfeswillens einen militärischen Vorteil verheißt" – ein Déjà-vu der alliierten Begründung für Städtebombardierungen.
Für die Kriegsverlierernation Deutschland ist die Identifizierung der eigenen und feindlichen Kriegsverbrechen ebenso wichtig, um falsche Perspektiven zu vermeiden. Es ist schon oben bei der Analyse des Ringtextes aufgezeigt worden, dass die historisch fehlerhafte Prämisse zu fehlleitenden pazifistischen Forderungen führt wie ‚Nie wieder Krieg' statt ‚Nie wieder Angriffskrieg'. Nur die letztere Formel ist eine angemessene Reaktionsparole auf die Kriegsverbrechen des Nazistaates.
Aber auch die ehemaligen Feindstaaten sind in die Pflicht zu nehmen: Wegen der Ausblendung bzw. der Relativierung der alliierten Kriegsverbrechen in der Nachkriegszeit konnte eine weitere wichtige Zukunftsformel nicht zum Zuge kommen - nämlich: Nie wieder Flächenbombardierungen!
Die deutsche Gesellschaft (staatliche Stellen, Medien, Schule etc.) braucht eine neue Debatte, bei der sie historisch und kriegsethisch wahrheitsgemäß an die Aufarbeitung von Krieg und Bombenkrieg geht.