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                                                                                            13.10.2020

Vorläufige Stellungnahme des Juristen Bernhard Mihm zur Enzyklika ´Fratelli tutti`


Nach allem was ich bisher zur Enzyklika zur Kenntnis nehmen konnte, stellt sich für mich die Frage, ob der regierende Heilige Vater die Unterscheidungskriterien zwischen Tugendethik und Sozialethik, wie sie der klassischen katholischen Soziallehre eigen sind, gewahrt oder verändert hat. Wenn ich etwa Johannes Messner folge, ist erster Leitstern der Sozialethik die Gerechtigkeit; in der Tugendethik ist es die Liebe. Danach wäre die Vorstellung einer Politik aus einer Nachfolge des barmherzigen Samariters abwegig. Dann wäre in der Sozialethik „Liebe“ als „soziale Liebe“ gegeben in der Liebe zur Gerechtigkeit und der Forderung des Gemeinwohls. Genau in diesem für mich bewährten katholischen Sinn hat übrigens der evangelische Theologe und zeitweilige Politiker Richard Schröder vor einiger Zeit geschrieben, der Staat könne nicht barmherzig sein. Gnade realisieren.

Das wäre auch theologisch gut begründbar. Denn Liebe können wir nicht ohne die Hilfe göttlicher Gnade realisieren. Gnade aber empfängt der einzelne Mensch und nicht eine Institution. Und zur Liebe beim Handeln in einer Institution bzw. für diese haben wir es mit „sozialer Liebe“ im Sinne Messners zu tun. Da hat mich im Beitrag von Professor Dr. Schallenberg in der Tagespost vom 8.10.2020 folgende Passage „elektrisiert“: „ Aber der Weg geht eben von einer Spiritualität hin zu einer Sozial- und Wirtschaftsethik, von der individuellen Tugend zu den öffentlichen Institutionen, von der klassischen Tugendethik hin zur modernen Institutionenethik, augustinisch gesprochen: vom Innen zum Außen, vom inneren Marktplatz zum äußeren Marktplatz, vom Gewissen zur Gesetzgebung. Das ist gut katholisch...."

Ist es das wirklich ?  Wäre es nicht doch eine grundstürzende Neuerung, die sich dann allerdings an der Tradition  messen lassen müßte ? Ich denke in diesem Context auch an die denkwürdige Rede Papst Benedikts XVI. am 22.9.2011 vor dem Deutschen Bundestag, und da besonders an die Passage:  „Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, nie eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründet sein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt. Die christlichen Theologen haben sich damit einer philosophischen und juristischen Bewegung angeschlossen, die sich seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. gebildet hatte.“ Der Papst meint damit die Naturrechtslehre, was er in der Folge näher dartut. Das war übrigens in Deutschland die letzte  prominente öffentliche Bekundung eines Naturrechtsdenkens, das ich in den folgenden Jahren bei den deutschen Bischöfen vermißt habe, als es um die Bewertung und Bewältigung des Massenzustroms aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und Afrika ging. Da ging es eher nach protestantischem Muster biblizistisch und damit eben nicht katholisch her. Und diese Erfahrung prägt auch meine Aufnahme der neuen Enzyklika.

Bernhard Mihm