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                                                                                             14.12.2025

Verleumdung der Kirche aus Ignoranz und mit Chuzpe

Der FAZ-Journalist Thomas Jansen behauptet in seinem Leitartikel vom 8.11.2025, mit der Lehre von den Juden als Gottesmördern hätte die Kirche in Deutschland „einen Nährboden für den völkermörderischen Antisemitismus der Nationalsozialisten“ geschaffen. Ähnlich äußert sich der amerikanische Sozialwissenschaftler David I. Kertzer in dem ZDF/Arte-Film „Papst Pius XII. und der Holocaust“ vom Januar 2025: Die „vielen (deutschen) Katholiken“ als Vollstrecker des Holocaust wären über die Sonntagspredigten ihrer Pfarrer mit der jahrhundertealten Tradition der Verunglimpfung der Juden als Gottesmörder und Christenfeinde geimpft worden.

Ist das Theorem von den Juden als Gottesmörder wirklich „annähernd zweitausend Jahre“ die Lehre der Kirche gewesen? Sind die Behauptungen über die Wirkung der Gottesmordthese in der NS-Zeit wissenschaftlich fundiert?

Die Anklage an die Adresse der Juden als Gottesmörder wurde erstmals von Bischof Melito von Sardes um 160 n. Chr. in seiner Osterpredigt erhoben. Im damaligen Theologenstreit um die Person Jesu als Mensch oder Gott plädierte der monophysitische Bischof dafür: Mit Jesus ist Gottes Sohn ermordet worden. Und als Gottesmörder identifizierte er „Israel“, also das Volk der Juden.

Das Wort von der Hinrichtung Jesu Christi als Gottesmord durch „die“ Juden ist in mehrfacher Hinsicht verfehlt: Historisch und biblisch hatte allein die römische Besatzungsmacht das Recht auf Todesurteil und Vollstreckung. Allerdings gab es jüdische Befürworter und Antreiber für die Tötung Jesu. Die gehörten zur herrschenden Oberschicht der Juden und waren nicht das Volkskollektiv. Theologisch bedeutet das durch Jesu Opfertod vergossene Blut „zur Vergebung der Sünden“ das versöhnende Opferblut des Neuen Bundes. Es ruft nicht nach Rache oder Vergeltung, wie Mt 27,25 fälschlich ausgelegt wird.

Schließlich war es Petrus selbst, der die jüdischen Todesbetreiber Jesu entschuldigte. Nach Apostelgeschichte 3,17-19 sagte Petrus zu seinen jüdischen Volksgenossen: „Ihr habt den Urheber des Lebens getötet. Aber ich weiß, Brüder, ihr habt aus Unwissenheit gehandelt, ebenso eure Führer.“ Doch Gott habe mit Leiden und Tod des Messias die Voraussagen der Propheten in Erfüllung gehen lassen. Darum „bekehrt euch, damit getilgt werden eure Sünden.“ Unter Berücksichtigung ihrer unwissenden Annahme, dass der Jude Jesus sich den Gottessohntitel blasphemisch angemaßt hätte, entlastete Petrus die beteiligten Juden sowohl von der Anklage der Gottestötung als auch des Mordes aus niedrigen Motiven. Jesus selbst hatte schon am Kreuz gesagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 32,34).  

Auf dem Konzil von Nicea im Jahre 325 n. Chr. wurde im Streit um die Wesensnatur des Messias‘ die Lösungsformel gefunden: Jesus Christus ist „wahrer Mensch und wahrer Gott“. Mit dieser Unterscheidung konnten das Leiden und der Kreuzestod dem Menschen Jesus zugeordnet werden, der zugleich als Christus, Heiland und Gottessohn die Menschen von Sünde und Tod erlöste. Nach dieser Klärung waren die Begriffe von der Tötung Gottes und den (jüdischen) Gottesmördern theologisch unmöglich geworden: Gott kann nicht leiden und auch nicht getötet werden.

Die These vom Gottesmord von Seiten der Juden gehörte nie zum Kernbestand der kirchlich-kanonischen Dogmatik. Im niceanischen Glaubensbekenntnis heißt es ausdrücklich: „…für uns (gelitten und) gekreuzigt unter Pontius Pilatus“.

Gleichwohl gab es auch nach Nicea zahlreiche polemische Aussagen von christlichen Theologen gegen das Judentum. Dabei spielte die antijudaistische Zeitgeist-Stimmung im Römischen Reich eine treibende Rolle. Die Zerstörung des jüdischen Tempels 70 n.Chr., der Heimatverlust der Juden, die Zerstreuung der Juden sowie ihre Unterdrückung durch die römische Obrigkeit wurden als Straffluch Gottes gedeutet. Wofür? Eben für das Dringen und Betreiben jüdischer Kreise zum Tod Jesu sowie die angebliche Selbstverfluchung von einer Volksmenge. Beide Handlungen von einer begrenzten jüdischen Gruppe wurden weiterhin kollektivistisch interpretiert. Das „verstockte“ jüdische Volk habe Gott wegen der jüdischen Mitverantwortung für die Kreuzigung Christi verworfen und daher dessen Erwählung zurückgenommen, seinen Bund gekündigt.

Im Hochmittelalter wurden diese Stereotype durch Legenden von Ritualmorden und Hostienfrevel verfestigt. Wenngleich Papst und Kirche diese volksreligiösen Verleumdungen und daraus folgende Pogrome vielfach verurteilten, blieb doch in der kirchlichen Ikonografie, teilweise bei bildlichen Passionsdarstellungen oder in den liturgischen Heilandsklagen, die Auffassung von den mörderischen Juden verbreitet.

Es ist aber auch von der kirchlich-theologischen Gegenerzählung seit der Spätantike zu berichten. Papst Leo der Große (+ 461) bezog Jesu Vergebung für seine Mörder (Lk 23,34) ausdrücklich auf die Juden. Damit war die in der Spätantike verbreitete Straf- und Fluch-Logik für die jüdische Mitverantwortung am Tod Jesu Christi erstmals in die spezifisch christliche Vergebungs- und Versöhnungslogik gewendet worden. Im frühen siebten Jahrhundert formulierte Papst Gregor der Große Grundsätze für die Rechte der Juden im Rahmen einer päpstlichen Schutzherrschaft, indem er sich gegen Zwangstaufen, für den Schutz des Synagogengottesdienstes und des jüdischen Besitzes aussprach. Auf dieser Basis erließen spätere Päpste ab dem frühen 12. Jahrhundert Schutzbullen, um den Juden ein friedliches Leben in der christlichen Gesellschaft zu gewährleisten. Unter Androhung der Exkommunikation war es verboten, Juden unter Zwang zu taufen, ihnen Schaden zuzufügen, ihre Feste und Synagogengottesdienste zu stören, ihre Friedhöfe zu beschädigen sowie sie zu verfolgen oder zu töten.  

Eine wirkliche theologische Wende kam mit der Wiederentdeckung der Gottesknechtlieder von Jesaia 53 im Hochmittelalter zum Tragen: „Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Um unserer Missetat willen ward er verwundet, um unserer Sünden willen zerschlagen….. Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Und 1 Kor 15,3: „Christus ist für unsere Sünden gestorben gemäß der Schrift.“ Wenn das blutige Selbstopfer Christi uns von unserer Sündenlast befreit, heißt das umgekehrt, dass wir mit unseren Sünden Leiden und Kreuzestod Christi heilsnotwendig gemacht haben. In diesem Sinne heißt es in dem Hymnus „Salve caput cruentatum“ des Arnulf von Löwen zu Anfang des 13. Jahrhunderts: „Oh Herr, was du erduldet / ist alles meine Last; ich hab‘ es selbst verschuldet / was du getragen hast.“

Die Kreuzes- und Passionsfrömmigkeit der spätmittelalterlichen devotio moderna ersetzte die Anklagen, Fluchworte und Vergeltungsgedanken gegen die jüdischen Treiber zu Jesu Tod durch den anklagenden Bezug auf die eigene Sündenschuld. Die Erkenntnis, dass der wirkliche Grund und zugleich die Erlösungsbestimmung für Leiden und Tod Jesu die Sünden der Menschen sind, setzte sich in der frühen Neuzeit in der katholischen Kirche besonders nördlich der Alpen durch. Römischen Besuchern fiel auf, dass vor jedem größeren Ort in Deutschland ein Kultort des „Kalvarienbergs“ zu finden war. In Görlitz wurde im 16. Jahrhundert die noch heute erhaltene via dolorosa mit sieben Kreuzwegstationen eingerichtet.

Beschlossen in den dogmatischen Aussagen des Konzils von Trient (1545 - 1563), wurde die Einsicht von der sündenbedingten Passion Christi im tridentinischen Katechismus festgeschrieben und ist dort für die katholische Pfarrer- und Volksbildung seit 450 Jahre verankert. Seit dem 17. Jahrhundert wurde die neue Passionsfrömmigkeit als Andacht an den sieben Stationen der sogenannten Fußfälle praktiziert, im 19. Jahrhundert bei den 14 Stationen der Kreuzwege, die in jeder Pfarrei sowohl im Kircheninneren wie auch als Bildstöcke in der Ortsgemarkung eingerichtet wurden. In den Kreuzwegandachten der Fastenzeit meditierten die Katholiken die Passion Christi: Gegeißelt und mit Dornen gekrönt wird der Heilige von den Sündern verurteilt Oder: Betrachte, wie Jesus unter das Kreuz fällt / auch meine Sünden fügen ihm Schmerzen zu / unseretwegen ward er geschunden / für uns gelitten zu unserem Heil.

In der katholischen Frömmigkeit von Pfarrern und Gläubigen wird seit 450 Jahren das Leiden und der Kreuzestod Christi nicht mehr als Folge jüdischen Wirkens angesehen. Wenn in den Jahrhunderten der Neuzeit einige wenige Theologen noch die alte Gottesmordthese und deren antijudaistische Implikationen vertraten, so war das ein kirchliches Randphänomen, jedenfalls nicht handlungsrelevant im Verhältnis der Katholiken zu den Juden.  

Auf Initiative der holländischen, zum Katholizismus konvertierten Jüdin Sophie van Leer wurde 1926 in Rom die „Priesterliche Vereinigung der Freunde Israels“ gegründet. Zu der Gruppe gehörten 3000 Priester, 328 Bischöfe und 19 Kardinäle, unter ihnen der Münchener Erzbischof Michael von Faulhaber. In der Zeit des wachsenden Antisemitismus‘ in Europa war es Absicht der Priester und Ordensleute, die Freundschaft und Versöhnung der Katholiken mit dem Volk des Alten Bundes anzubahnen. Insbesondere sollte die ehrenrührige Karfreitagsbitte gegen die „perfiden“ Juden ersetzt werden durch eine judenfreundliche Formulierung.

Nach der aufgezeigten Wendung der katholischen Theologie seit dem Konzil von Trient sowie der Initiative der Amici Israel im Jahrzehnt vor der NS-Machtergreifung sind die Anschuldigungen zu bewerten, die zu Anfang des Artikels vorgestellt sind.

Auf diesem Hintergrund ist es völlig unbegründet, was die wikipedia-Seite unter dem Thema „Gottesmord“ pauschal zur christlichen Haltung schreibt: „Ab 1933 rechtfertigten Christen aller Konfessionen die staatliche Verfolgung der Juden als Folge des angeblichen Gottesmordes, durch den sie einen angeblichen ‚Fluch‘ auf sich gezogen hätten.“

Die Seite kann für ihre These nicht einen einzigen katholischen Schriftsteller aufbieten. Sie verweist allein auf den Gründer der lutherisch-freikirchlichen Hermannsburger Mission - und Dietrich Bonhoeffer. Der rekapitulierte im April 1933 als Reaktion auf den NS-Judenboykott die klassische Gottesmordthese der Spätantike: „Das auserwählte Volk, das den Erlöser der Welt ans Kreuz schlug, muss in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Leidens tragen.“

Der alt-neue Antijudaismus, gestützt auf die Hetzreden von Martin Luther, hatte in den evangelischen Landeskirchen fraktionsübergreifend breiteste Unterstützung. Er wurde seit Anfang der 1930er Jahre getragen von der Zwei-Drittel-Mehrheit der „Deutschen Christen“, die sich ursprünglich „Christen in der NSDAP“ nannten. Diese protestantische Bewegung kann mit einiger Berechtigung als der „Nährboden für den völkermörderischen Antisemitismus des Nationalsozialismus“ angesehen werden, so die Formulierung von Thomas Jansen. Es ist allerdings „infam“ von dem FAZ-Journalisten, die zutreffende Anklage gegen den Protestantismus zu verschweigen und sie stattdessen der diesbezüglich unschuldigen katholischen Kirche aufzuladen. Die Methode der Schuldverschiebung auf den ‚Sündenbock‘ Kirche ist als Verleumdung anzusehen.

In ähnlicher diffamierender Weise geht der amerikanische Autor David I. Kertzer vor, ein Professor für Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt-Studien zur italienischen Neuzeit. In dem ZDF/Arte-Film „Papst Pius XII. und der Holocaust“ vom Januar 2025 wird er als einseitiger Kronzeuge aufgerufen, um das angebliche Schweigen des Papstes zur nazistischen Judenverfolgung zu untermauern. In diesem Zusammenhang behauptet er (im Film und seinem Buch „Der Papst, der schwieg“ auf S. 544): Es seien viele deutsche Katholiken gewesen, die aktiv am Judenmord vor Erschießungsgräben und Gaskammern mitwirkten. Die Vollstrecker des Holocausts hätten sich dabei als „gute Katholiken“ betrachten können, weil sie ihre antisemitischen Taten aus den Sonntagspredigten ihrer Pfarrer hätten rechtfertigen können, in denen die „jahrhundertealte Tradition der Verunglimpfung der Juden“ als Gottesmörder und Christenfeinde gelehrt worden wäre.

An den spekulativen Aussagen dieser Passage ist nicht ein einziger Halbsatz historisch halt- und belegbar. Kertzer wird bei den 12.000 katholischen Geistlichen in der Hitlerzeit nicht eine einzige Predigt vorlegen können, in der die Juden als Gottesmörder angeklagt werden. Deshalb konnten sich die wenigen (im Vergleich zu den Protestanten) Taufscheinkatholiken, die sich freiwillig zur Totenkopf-SS für die Vernichtungs-KZs meldeten, auch nicht für gute Katholiken halten.

Bei seiner Ignoranz zu den Kirchenverhältnissen in Deutschland scheut sich Kertzer nicht, seine Unkenntnis mit falschen Beschuldigungen der deutschen Geistlichen zu kaschieren. Von denen wurden mehr als fünftausend von NS-Staat und -Partei schikaniert, drangsaliert, kriminalisiert oder ins KZ verbracht, etwa weil „der niedere Klerus das Ideengut des Nationalsozialismus zu Rasse und Blut ablehnt“, wie der Gestapo-Lagebericht für den Raum Arnsberg von Ende 1935 notierte. Weiter heißt es dort: „Die (NS-) Maßnahmen gegen das Judentum und das Sterilisationsgesetz sind daher Gegenstand dauernder Hetze von Seiten katholischer Pfarrer.“

Hubert Hecker