Arbeitskreis
 von

 Katholiken

Logo

Ich bin der Weg,

die Wahrheit und

das Leben

.

Eine Predigt, die nachdenklich macht zum Fest des Heiligen Olav im Nidarsdom zu Trondheim, Norwegen

 

                                   Bischof Erik Varden

Es ist reine Illusion zu glauben, dass wir die Welt gewinnen können


Weisheit 10,10–14: Die Weisheit half ihm gegen seine Unterdrücker
Jakob 1,2–4.12: Glücklich der Mann, der in der Versuchung standhält
Matthäus 16,24–28: Bis sie den Menschensohn in seiner königlichen Macht kommen sehen


Das Evangelium, das wir gehört haben, bildet einen Wendepunkt in der
Verkündigung Jesu Christi. Wir befinden uns in Caesarea Philippi. Der Herr hatte
zuvor die Zwölf gefragt: „Für wen haltet ihr mich?“, und Petrus gab stellvertretend
für sie alle die Antwort: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“
Darauf folgt das Versprechen Jesu an Petrus, jenes Wort, das in goldenen Lettern
über dem Grab des Apostels und dem Altar der Nachfolger Petri steht: das
Versprechen, dass die Mächte der Unterwelt die Kirche nicht überwältigen werden.
Schon damals rief diese Verheißung Ratlosigkeit hervor. Sollen wir die Worte Jesu so
verstehen, dass der irdische Wohlstand der Kirche gesichert sei? Zumindest Petrus
scheint es so verstanden zu haben. Im selben Augenblick, da Jesus den Jüngern sein
Leiden und seinen Tod ankündigt, gibt Petrus diesem Unglauben Ausdruck. Jesus
weist ihn schroff zurecht: „Du hast das im Sinn, was die Menschen wollen.“ Und tun
wir das nicht weitgehend alle, ganz spontan? Um zu begreifen, was Gott will,
müssen wir lernen, anders zu denken.

Im heutigen Evangelienabschnitt setzt der Herr dieses Gespräch mit den Aposteln
fort und vertieft die Bedeutung des Kreuzes. Die Apostel hören, dass die Berufung
zum Kreuztragen nicht nur ihrem Herrn gilt. Sie ergeht auch an die Apostel – und
damit auch an uns. „Jeder, der mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein
Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Dieses Kriterium gilt ausnahmslos „jedem“. Wie
immer, wenn es um den Glauben geht, liegt die Betonung auf dem freien Willen.
Dass Gott unseren freien Willen respektiert, ist ein großes Geheimnis. „Willst du
gesund werden?“, fragt der Herr einmal (Joh 5,6). Ein anderes Mal sagt er: „Was du
willst, soll geschehen“ (Mt 15,28). Bei jeder kirchlichen Handlung wird die Frage
gestellt: „Willst du?“ Ein klares Ja ist nötig, damit die Handlung gültig vollzogen
wird. Diese Frage wird gestellt bei Hochzeiten, wenn Ordensgelübde abgelegt
werden und bei Weihen. Freiwilligkeit ist eine Voraussetzung bei der Aufnahme von
Konvertiten und liegt auch dem Sakrament der Firmung zugrunde. Bevor wir die
Kommunion empfangen, hält uns der Priester die konsekrierte Hostie vor Augen
und sagt: „Der Leib Christi.“ Wir antworten „Amen“ und erkennen damit die
Gegenwart des Herrn an. Aber nicht nur das. Wir bestätigen auch, dass wir frei und
beharrlich an dem Bund festhalten wollen, den dieses Sakrament konkretisiert, den
Bund in Jesu Blut. Wenn wir zur Kommunion gehen, erklären wir: „Ja, ich will im
Blick auf den neuen und ewigen Bund leben, der am Kreuz zum Heil der Welt
geschlossen wurde.“ Wir sind uns alle dabei unserer Gebrechlichkeit bewusst. Alle
sind wir Sünder! Alle brauchen wir Gottes Gnade und beständige Vergebung. Alle
brauchen wir das Erbarmen derer, die mit uns glauben. Die Eucharistie ist ja keine
Prämie für gutes Benehmen, sondern es steht etwas Gewaltiges auf dem Spiel: dass
wir in Christi Kreuzesopfer einverleibt werden. Erwarten wir also von uns selbst und
von einander dieselbe Redlichkeit, die Gott von uns erwartet. Denn im Angesicht
dieses Sakraments fragt er: „Willst du an mir festhalten?“ Sage ich dazu „Ja! Amen!“,
muss ich das auch in allen anderen Entscheidungen zeigen, die ich treffe. Unser Ja sei
ein Ja, unser Nein ein Nein (Mt 5,37), und nicht ein „Jein“.

Im weiteren Verlauf spricht der Herr vom Verhältnis zwischen dieser Welt und dem
Reich Gottes. Hier müssen wir mitunter radikale Entscheidungen treffen. Eine
Allianz mit der Welt, auch wenn ich sie damit ganz gewinne, kann mich meine Seele,
mein Wesen kosten. Und wenn ich mein Wesen verloren habe, nichts mehr bin,
welche Rolle spielt dann noch, was ich habe? Durch alle Zeiten haben wir Versuche
gesehen, Gottes Reich mit der Welt gleichzusetzen. Ein solch grandioses Experiment
haben etwa die byzantinischen Kaiser unternommen, ohne dass davon groß etwas
übriggeblieben wäre. Im Westen idealisieren wir Katholiken gerne das Mittelalter:
Wir stellen uns vor, wie fromm damals alle waren, wie sie unentwegt gregorianische
Melodien geträllert und mit welchem Eifer sie freitags gefastet haben. Betrachten wir
die Quellen genauer, sehen wir, wie sehr Europa von Spannungen geprägt war,
obwohl das Christentum als Mehrheitsreligion anerkannt war. Ein Versuch, ein
Gleichheitszeichen zwischen staatliche Agenda und Gottes Sache zu setzen, spielt
sich gegenwärtig in Russland ab. Ein gewichtiger Aufruf internationaler Vertreter der
Orthodoxie hat, Gott sei Dank, diesen Versuch als gleichermaßen absurd und
häretisch verurteilt. Wir katholische Christen befinden uns anno 2022 im Kielwasser
eines Konzils, das die liebliche Vision hatte, die Welt würde sich für Christus öffnen.
In den frühen Sechzigerjahren war die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg noch
präsent genug, um sich dem Glauben hinzugeben, die Menschheit müsse sich doch
nach einem solch überwältigenden Trauma erneuern. Eine erhabene Hoffnung, die
wir aber heute kaum noch begreifen können, wenn wir den Sturm sehen, den wir
nur wenige Jahrzehnte später ernten.

Erinnert euch dann an die Warnung des Evangeliums. Es ist reine Illusion zu
glauben, dass wir die Welt gewinnen können. Versuchen wir es, setzen wir die Seele
aufs Spiel. Es ist auch gar nicht das Ziel, das wir anstreben sollen. Wir sollen das
Evangelium unverkürzt bis ans Ende der Welt tragen: Das ist das Gebot Christi. Das
Bekenntnis zu Christus aber wird, soziokulturell gesehen, ein Randphänomen
bleiben, wie es das zu fast allen Zeiten war. Unsere Berufung ist nicht, irgendetwas
zu gewinnen, sondern treu zu sein; als Zeugen Christi zu leben, mag die Welt unser
Zeugnis ruhig verachten. Doch wollen wir die Welt nicht verteufeln. Gottes Sohn
kam ja, um sie zu erlösen. Er liebt die Welt. Wir sollen es ihm gleichtun. Unsere
Mitmenschen sollen wir achten. Die meisten wollen ja das Gute; ein Problem ergibt
sich aber, wenn Verwirrung um die Frage ausbricht, was denn das Gute sei. In der
Gegenwart meinen viele, wir seien in eine völlig neue Epoche eingetreten, die auf
allen Ebenen neue Kategorien, neue Deutungen verlange. Ich halte das für leeres
Gerede und glaube, wir haben es mit einem für unsere Zeit typischen Ausdruck einer
eigentlich ganz banalen Täuschung zu tun. Schon Olav begegnete dem Bericht von
Erzbischof Eystein zufolge derselben Täuschung, als er den Norwegern zum ersten
Mal das Christentum verkündete. „Die Menschen hatten vermutlich schon vom
Glauben gehört“, schreibt Eystein, meinten aber, dass es zu kompliziert sei, danach
zu leben. Auf der Welle der Fortschrittseuphorie zu surfen – im ethischen oder
politischen Sinne – ist leichter, als sich der Frage zu stellen: „Gibt es einen absoluten
Anspruch, der etwas von mir verlangt?“

Der Widerstand unserer Zeit gegen den Glauben ist nicht gerade originell. Vieles,
was heute an Kritik geäußert wird, wiederholt nur Argumente – wenn man sie denn
so nennen kann –, die bereits von den Kirchenvätern beantwortet wurden. Bei ihnen
finden wir Inspiration und Ausgewogenheit. Wir können aber noch einen Schritt
weiter zurückgehen. Christ sein heißt, das Hier und Jetzt in einer weiten Perspektive
zu sehen, die bis in die Ewigkeit reicht. Unsere erste Lesung — einem mehr als 2000
Jahre alten Text entnommen — handelt von der Erfahrung, unterdrückt und verfolgt
zu werden, Lügen ausgesetzt und in einen harten Kampf gestellt zu sein. Gegen alle
diese Formen von Verwirrung wird das gleiche Heilmittel verschrieben: Weisheit.
Die Weisheit ist in diesem Zusammenhang eine persönliche Kraft; sie weist auf den
Logos des Vaters hin. Sie steht aber auch für das, was das Wort im allgemeinen
Sprachgebrauch bedeutet: das Gegenteil von Dummheit. Ich denke oft daran, was
Dietrich Bonhoeffer, lutherischer Pastor und Theologe, nach seiner Verhaftung 1943
schrieb. Er war ein klar sehender, frei denkender, mutiger, weiser Mensch. Solche
Menschen sind lebensgefährlich für jedes totalitäre System. Die Nationalsozialisten
mussten ihn loswerden und zum Schweigen bringen. Bonhoeffer schrieb:
„Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse
läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt
verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich,
indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die
Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch mit Gewalt läßt sich
hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen
Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in
solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch, und wenn sie unausweichlich
sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseite geschoben
werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich
selbst zufrieden, ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum
Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten
als gegenüber dem Bösen.“

Im Morgengrauen des 9. April 1945 wurde Bonhoeffer in Flossenbürg erhängt.
Seinem Freund Bischof George Bell schrieb er zuvor: „Das ist das Ende. Für mich
aber der Beginn des Lebens.“ Er war ein Weizenkorn, das in die dunkle Erde gesät
wurde. Doch was für eine Ernte hat dieser Same hervorgebracht! Ja, auch in unseren
Tagen kann ein christliches Leben so aussehen. Es hat dann eine tragische
Dimension, ist aber weder traurig noch bitter. Ganz im Gegenteil, es ist geprägt von
Leichtigkeit, Freude, menschlicher Wärme und einer ganz eigenen, unwiderstehlich
anziehenden Freiheit. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir heute das Fest des
heiligen Olav feiern, des Märtyrers.

 

 

Der Arbeitskreis von Katholiken dankt Bischof Erik Varden für die Bereitstellung dieser vom Glauben erfüllten Predigt.